Stellungnahme zum Entwurf des Strafrechtsänderungsgesetzes 2015

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Geschlechterstereotype
Einen neuen Umgang mit Sexualität braucht das Land!

Die in der geplanten Novellierung des Strafgesetzbuches vorgesehene Stärkung des Schutzgutes der sexuellen Selbstbestimmung stellt aus Sicht des Vereins österreichischer Juristinnen eine längst überfällige Anpassung im Sexualstrafrecht dar.

Gerade die mediale Diskussion, bei der in zahlreichen Beiträgen zwischen einer sexuellen Annäherung und einem unerwünschten Übergriff nicht unterschieden wird, verdeutlicht diese Notwendigkeit. Denn wenn in der Tradition eines einer antiquierten Auffassung über Geschlechterverhältnisse entsprechenden „Rechts auf körperlichen Zugriff auf Frauen“ unerwünschte Übergriffe erotisiert bzw. als legitime Form des sexuellen Umgangs dargestellt werden, muss der Staat Position beziehen.

So monierten etwa die Strafrechtsprofessoren Helmut Fuchs und Klaus Schwaighofer in der Presse vom 18.3.2015 unter dem Titel „Umarmung könnte strafbar werden“ (1), dass die geplante Ausweitung des Tatbestandes der sexuellen Belästigung aufgrund seiner angeblichen Unbestimmtheit zu weit ginge und somit Beschuldigte nach der Neuregelung einer strafrechtlichen Verurteilung quasi schutzlos(?) ausgesetzt seien. Bei Personen, die man nicht so gut kenne, müsse man etwa nachfragen, ob eine Umarmung in Ordnung sei; bei einem „normalen Umgang“ könne durchaus auf einer Bank sitzend eine Hand auf den Oberschenkel gelegt werden, beim Tanzen könne es mitunter neben Berührungen an Hüfte und Hals zu einem überraschenden Kuss kommen.

Neben einem Ausblenden der Tatsache, dass genau solche Handlungen, sofern sie unerwünscht sind, eben schon einen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung darstellen können und dementsprechend auch rechtlich verpönt sein sollten (2), zeichnen sich diese Situationsschilderungen vor allem durch ihre stereotype Vorstellung von geschlechtsspezifischem Verhalten aus: Der hier vorausgesetzte Maßmensch sieht sich offenbar ohne jegliche Empathiefähigkeit einer in ihren Wünschen und ihrem Willen völlig unergründlichen Person gegenüber, sodass er nicht unterscheiden kann, ob es situationsadäquat ist, den Oberschenkel des Gegenübers zu berühren, der anderen Person körperlich durch eine Umarmungen sehr nahezukommen, oder ob ein Berühren des Halses, der Hüfte oder des Mundes vom Gegenüber überhaupt erwünscht ist. Unerwünschte Übergriffe werden durch solche Darstellungen nicht nur verharmlost, sondern es wird einmal mehr der Täter zum Opfer gemacht.

In der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“ vom 12.4.2015 unter dem Titel „Verschärftes Sexualstrafecht? Eine Erregung!“ (da ist sie wieder, die Erotisierung und Verharmlosung des Themas!) wurden die Mythen von Falschanschuldigungen durch Frauen nicht nur durch einen Teil der anwesenden Sendungsgäste weiter gepflegt. In einem Kurzbeitrag wurde im Zuge der Darstellung der prominenten Fälle Kachelmann, Strauss-Kahn und Assange aufgrund der Tatsache, dass es in keinem der Fälle zu Verurteilungen kam, unreflektiert in den Raum gestellt, dass es sich dabei um Falschanschuldigungen der Frauen gehandelt habe, die gezielt den Ruf der Männer ruiniert hätten. Unerwähnt blieb in dem eingespielten Videobeitrag, dass gerade in der Causa Kachelmann im Freispruch „in dubio pro reo“ die RichterInnen klar zum Ausdruck
gebracht haben, dass aufgrund dieses Urteils keineswegs das mutmaßliche Opfer automatisch der Falschanschuldigung bezichtigt werden könne, da
ein Urteil „in dubio pro reo“ „nicht darauf beruhe, von der Unschuld des Angezeigten
überzeugt worden zu sein, sondern nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme begründete
Zweifel an der Schuld vorliegen.

Das Vermischen von Fragen erwünschter Annäherungen und sexueller Anbahnungen auf der einen Seite und unerwünschten Übergriffen auf der anderen Seite spiegelte sich auf besonders exemplarische Weise in einem Artikel in der Wiener Zeitung vom 11.4.2015 (3).  Bereits der Titel „Das Ende des Freiwilds“ suggeriert, dass auf Frauen offenbar, wie bei Wildtieren, ein Zugriffsrecht bestehen würde. Unterstrichen wird dies durch das verwendete Bildmaterial, welches – obwohl es in dem Artikel um Übergriffe geht – eine Frau mit erotisch aufforderndem Blick zeigt, die an der Wand stehend von einem Mann augenscheinlich erwünschte Avancen erwartet. Soll das Bild tatsächlich eine unerwünschte sexuelle Belästigung darstellen, ist durch die erotische Aufladung des Bildes nicht nur die Unerwünschtheit von Seiten der Frau offenbar nicht beachtenswert, sondern wird auch auf Seiten des dargestellten Mannes ein im Zusammenhang mit Sexualstraftaten gern verwendetes Bild wieder aus der Mottenkiste hervorgeholt: der „Triebtäter“ (4), der sich getrieben von seiner Sexualität über die Grenzen von anderen hinwegsetzt. Dass es sich bei Sexualdelikten, von sexueller Belästigung bis hin zu Vergewaltigung, aber um Aggressionsdelikte handelt, wo es um Demütigung, Unterwerfung und somit um eine sexualisierte, geschlechtsspezifische Form von Gewalt geht, wird dabei verschwiegen  bzw. nicht erkannt.

Es zeigt sich, dass in dieser weitgehend hegemonial patriarchal geführten Debatte so getan wird, als würde der Staat mit dieser Novelle des Sexualstrafrechts gegen gesellschaftliche Bedürfnisse agieren, um in unerwünschter Weise das „zwischenmenschliche Zusammenleben“ (über) zu regulieren. Dabei forderten und fordern gerade gesellschaftlich gleichstellungsorientierte Kräfte vom Gesetzgeber aktiv die Sanktionierung von den in Frage stehenden sexuellen Übergriffen, was sich z.B. in den Kampagnen #Aufschrei und „Ein NEIN muss genügen“ zeigte. Der Verein österreichischer Juristinnen schließt sich diesen zivilgesellschaftlichen Forderungen an und hält fest, dass die Novelle in der geplanten Form dringend geboten ist, um einer geschlechterdemokratischen und gleichstellungsorientierten Gesellschaft gerecht zu werden.

In einer umfassenden Stellungnahme zum Entwurf des Strafrechtsänderungsgesetzes 2015 hat der Verein österreichischer Juristinnen Position bezogen.

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(1) http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/4687695/Sexuelle-Belaestigung_Umarmung-konnte-strafbar-werden

(2) vgl z.B. der Fall jener Grazerin aus dem Jahr 2012, die sich, eindeutig von ihr unerwünscht, einem Griff auf den Po ausgesetzt sah, gegen den sie nach der damaligen Rechtslage aber nicht zur Wehr setzen konnte.

(3) http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/oesterreich/chronik/745825_Das-Ende-des-Freiwilds.html

(4)  Lembke, Gewalt im Geschlechterverhältnis, Recht und Staat, in Foljanty/Lembke (Hrsginnen), Feministische Rechtswissenschaft2 (2012) 242f.